Autor

Anja Gebauer

Monatsbriefe

Die Schadow Gesellschaft Berlin e.V. gibt seit Februar 2021 sogenannte „Monatsbriefe“ mit persönlichen Berichten, Informationen zu allgemein interessierenden oder stadtgeschichtlichen Themen sowie Forschungserkenntnissen per E-Mail heraus, um alle Mitglieder und Freunde anzusprechen und einen kleinen Ausgleich für die fehlenden persönlichen Kontakte aufgrund der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie zu schaffen.
Alle Mitglieder und Freunde der Gesellschaft sind aufgerufen, sich mit eigenen Beiträgen zu beteiligen, Kontakt aufzunehmen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Es wird allen sehr herzlich gedankt, die die Initiative unterstützen.

Bisher sind erschienen:

Nr. 1 / Februar 2021
„Die Kolonnaden der Museumsinsel“, Dr. Christina Petersen

Nr. 2 / Februar 2021
„Maskenbilder, Impressionen aus dem aktuellen Alltag“, Bärbel Dieckmann

Nr. 3 / März 2021
„Und da war sie aus Gips – Die Rekonstruktion der Quadriga“, Dr. Andreas Kaernbach

Nr. 4 / März 2021
„Quadriga auf geprägtem Metall“, Helmut Caspar

Nr. 5 / April 2021
„Grabmal für Hans Graf von Blumenthal in Horst in der Prignitz“, Bernd Romann und Klaus Gehrmann

Nr. 6 / April 2021
„Das ehemalige Schadow-Zimmer im Märkischen Museum“, Dr. Jörg Kuhn

Nr. 7 / Mai 2021
„Die Allegorien der Kontinente von der Alten Börse:
Wiederentdeckte Reliefs von Johann Gottfried Schadow“, Annette Meier

Nr. 8 / Mai 2021
„Schadow am Fuße der Alpen“, Prof. Dr. Bernhard Maaz

Nr. 9 / Juni 2021
„Schadows Blick auf Napoleon“, Dr. Claudia Czok

Nr. 10 / Juni 2021
„Schadows Denkmal von Friedrich Wilhelm Schütze in der Schlosskirche von Schöneiche bei Berlin“, Monika Peschken-Eilsberger

Nr. 11 / Juli 2021
„Carl Steffeck, Schadow, Öl auf Leinwand, 1874“, Dr. Andreas Kaernbach

Nr. 12 / Juli 2021
„Das Schadow-Haus – ein Denkmal von kultureller und nationaler Bedeutung“, Dr. h.c. Wolfgang Thierse

Nr. 13 / August 2021
„Kommt und seht
Skulpturenausstellung „Ideal und Form“ ehrt in der Friedrichswerderschen Kirche Schinkel, Schadow und weitere berühmte Künstler. Helmut Caspar

Nr. 14 / August 2021
„Die Berliner Bildhauerschule“, Exkurs der Bildhauerin Bärbel Dieckmann über figurative Bildhauerei

Nr. 15 / September 2021
„Briefe aus der Familie Schadow“,  Bernd Romann und Klaus Gehrmann

Nr. 16 / September 2021
„Schadows Wittenberger Lutherstandbild 1804–1821“, Dr. Claudia Czok

Nr. 17 / Oktober 2021
„Schadow im Bode-Museum“, Prof. Dr. Bernd Wolfgang Lindemann

Nr. 18 / Oktober 2021
„Blücher als Hercules teutonicus“
Russische Kupferkopeken für Schadows Feldherrndenkmal in Rostock und eine Goldmedaille für Goethe, Helmut Caspar

Nr. 19 / November 2021
„In Schadows Garten“, Dr. Andreas Kaernbach

Nr. 20 / November 2021
„Die Grabstätte der Familie Johann Gottfried Schadow“, Dr. Jörg Kuhn

Nr. 21 / Januar 2022
„Johann Gottfried Schadow und die Akademie der Künste“, Dr. Hans Gerhard Hannesen

Nr. 22 / Februar 2022
Grundinstandsetzung und Erweiterung der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin / Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, Dr. Christina Petersen

Monatsbrief Nr.22

Nr. 23 / März 2022
„Die Weinsbergerin von Johann Gottfried Schadow“, Klaus Gehrmann

Nr. 24 / April 2022
„Dem Sieger gehört die Kunst“
Chef des Louvre plünderte 1806 für Frankreichs Kaiser Napoleon I. Berliner und Potsdamer Schlösser und entführte Schadows Quadriga. Helmut Caspar

Nr. 25 / Mai 2022
Die Portraitbüste Moses Mendelssohn von Jean Pierre Antoine Tassaert
Grafische Arbeiten zu Moses Mendelssohn von Johann Gottfried Schadow. Dr. Andreas Kaernbach

Nr. 26 / Juni 2022
Der „Münzfries“ von J. G. Schadow – wechselvolle Geschichte und ungewisse Zukunft. Helmut Caspar und Dr. Christina Petersen

Nr. 27 / Juli 2022
„Ohne Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit keine Freiheit“
Berliner Stadtmuseum zeigt im Knoblauchhaus, wie gehobenes Bürgertum im Biedermeier gelebt hat und wer dort ein und aus ging. Helmut Caspar

Nr. 28 / August 2022
Die Gipsformerei in Charlottenburg
Ein Stück Architektur- und Kulturgeschichte der Berliner Museen. Prof. Dr. Bernd Wolfgang Lindemann

Nr. 29 / September 2022
Die Entstehungsgeschichte der Johann Heinrich Voß-Büste von Schadow. Dr. Kerstin Gräfin von Schwerin

Nr. 30 / Oktober 2022
Zwei Veranstaltungen:
„Nach Wahrheit forschen, das Beste tun“ (Moses Mendelssohn-Ausstellung im Jüdischen Museum) und „Bei der Quadriga zu Besuch“. Helmut Caspar

Nr. 31 / November 2022
Krieg, Menschenschmerz und patriotische Heilkunst.
Ein Gespräch zu Schadows Relief Das Walten der Feldärzte von 1803. Dr. Claudia Czok und Prof. Dr. Hans-Uwe Lammel

Nr. 32 / Dezember 2022
„Haltet mir die Gipse rein“
Alte Nationalgalerie würdigt Johann Gottfried Schadow als Vater der Berliner Bildhauerschule und zeigt seine bedeutendsten Werke. Helmut Caspar

Nr. 33 / Januar 2023
Das Denkmal für Joachim Georg Darjes (1714-1791) in Frankfurt an der Oder von Johann Gottfried Schadow. Lutz Patitz

Nr. 34 / Februar 2023
Friedrich der Große im Nationalmuseum in Stettin (Muzeum Narodowe w Szczecinie). Klaus Gehrmann

Nr. 35 / März 2023
„Mann von Geschmack und Weitblick“
Johann Gottfried Schadow diente drei Königen und erhielt Aufträge vom Minister Friedrich Anton von Heinitz. Helmut Caspar

Nr. 36 / April 2023
Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch
Eine freundschaftliche Künstlerkonkurrenz. Dr. Jutta von Simson

Nr. 37 / Juni 2023
„Was bleibet aber, stiftet die Kunst“
Schadow Gesellschaft Berlin feierte am 20. Mai 2023 ihr 30-jähriges Bestehen. Helmut Caspar

Nr. 38 / Juli 2023
Johann Gottfried Schadow und Werkstatt
Streit der Kentauren mit den Lapithen. Metopen vom Brandenburger Tor, Tiergartenseite, 1789 / 1790, Sandstein. Dr. Andreas Kaernbach

Nr. 39 / August 2023
Johann Gottfried Schadows Blick auf Landschaft und Stadt
Fünf außergewöhnliche Zeichnungen in seinem Oeuvre. Dr. Sibylle Badstübner-Gröger

Nr. 40 / September 2023
Knobelsdorff – Schadow – Schinkel – Menzel
Berliner Künstler betätigten sich vor und nach 1800 im Nebenberuf erfolgreich auch als Gestalter von Medaillen. Helmut Caspar

Nr. 41 / Oktober 2023
Eine bisher unbekannte Zeichnung Johann Gottfried Schadows. Dr. Jutta von Simson

Nr. 42 / November 2023
Glück, Wohlstand, Frieden
Zeitgenossen von Johann Gottfried Schadow schufen Neujahrsplaketten, die in der Königlichen Eisengießerei zu Berlin gefertigt wurden. Helmut Caspar

Nr. 43 / Dezember 2023
Bildhauers Erbe in guten Händen
Schadow Gesellschaft Berlin e.V. zog eine positive Bilanz für 2023 und stellt sich neuen Herausforderungen. Helmut Caspar

Nr. 44 / Februar 2024
Grabdenkmäler Johann Gottfried Schadows in Brandenburg. Dr. Sybille Badstübner-Gröger

Nr. 45 / April 2024
Von Mars und den Musen geliebt
Das Reiterdenkmal Friedrichs des Großen Unter den Linden in Berlin hat eine lange Vorgeschichte und konnte erst 1851 enthüllt werden. Helmut Caspar

 

Bei Interesse an der Zusendung der Monatsbriefe wenden Sie sich bitte an Frau Dr. Sydow (Sekretariat).

„Künstlers Erdenwallen“

Schadow Gesellschaft zu Berlin auf den Spuren von Johann Gottfried Schadow in Beelitz, Treuenbrietzen und Wörlitz

 

Der große Berliner Bildhauer und Grafiker Johann Gottfried Schadow absolvierte in seinem langen Leben viele Dienstreisen zumeist im Auftrag der preußischen Regierung. Er lernte dabei für sein Schaffen interessante Personen kennen und nahm vielfältige Anregungen für seine Arbeit auf. Eine solche Fahrt führte den damals Dreißigjährigen vom 14. Juli bis zum 7. Juli 1794 von Berlin nach Dresden mit Haltepunkten in Beelitz, Treuenbrietzen, Coswig, Wörlitz und weiteren Städten und Dörfern. Sie mag für ihn im Nachhinein nicht so bedeutsam gewesen sein. Zwar finden sich in Schadows Erinnerungsbuch von 1850 „Kunstwerke und Kunstansichten“ enthusiastische Worte über den „Zauber“, den die Ankunft der beiden aus Mecklenburg-Strelitz stammenden Prinzessinnen Luise und Friederike im selben Jahr alle Stände ergriff und  deren Doppelstatue er alsbald in Angriff nahm. Dass er sich zu Studienzwecken nach Dresden begab, war ihm ein halbes Jahrhundert später keine Zeile wert. Gäbe es nicht das handgeschriebene, im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz befindliche Reisetagebuch vom Sommer 1794, wüssten wir nicht, was Schadow in den von ihm besuchten Städten und Dörfern erlebte, wo er nächtigte und speiste, mit wem er sprach und wie ihm Menschen, Landschaften und Sehenswürdigkeiten zusagten oder auch missfielen. In den Aufzeichnungen hielt der Meister kurz und bündig „Künstlers Erdenwallen“ fest, um den Titel einer berühmten Bilderfolge von Adolph Menzel zu zitieren.

Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin, die sich intensiv um das Erbe ihres Namensgebers kümmert und in die Öffentlichkeit trägt sowie Aspekte seines Lebens und Schaffens in einer gut gemachten Schriftenreihe publiziert, nahmen am 6. Oktober 2019 bei bestem Herbstwetter die Gelegenheit wahr, Schadows Spuren in einem modernen Reisebus zu folgen und zu erfahren, wie es dem noch recht jungen Leiter der Hofbildhauerwerkstatt und Direktor der Skulpturen beim Oberhofbauamt vor 225 Jahren auf seiner Reise ins Sächsische ergangen ist.

Kritische Urteile und Hang zur Ironie

Grundlage der Exkursion ist ein Reisetagebuch, aus dem die Kunsthistorikerin Dr. Claudia Czok, Vorsitzende der Schadow Gesellschaft, entziffert und bei der Busfahrt vorgetragen und kommentiert hat. „Der Bericht zeigt Schadows ausgeprägte Fähigkeit und den Willen zur kritischen Beurteilung all dessen, was er bei seiner Reise gesehen und erlebt hat. Sein Urteil vor allem über künstlerische Phänomene ist auch heute interessant. So äußert er sich lobend über den Erhalt und das Aussehen mittelalterliche Backsteinbauten, die man in dieser gediegenen Form in Berlin nicht kennt. Er findet Stuckaturen und Wandmalereien im Wörlitzer Schloss mittelmäßig, ist hingegen vom Landschaftspark des Fürsten Franz begeistert.“

In Treuenbrietzen bemerkte Schadow vor dem Tor eine Wassermühle sowie einen wohl konservierten runden Turm und alte Mauern. „Das Wasser läuft in Rinnen durch die ganze Stadt. Eine Frau am Tor, die bemerkte, daß ich die schöne Mauer von Feldsteinen des runden Turms aufmerksam betrachtete, sah auch hin, indem sie sagte: ,Ja, wenn der nicht so fest wäre, so hätten sie ihn längst heruntergeworfen, am andern Tor stand auch so einer. Der hat fortgemußt. Und doch stehts keinem Menschen im Wege.’ Die Frau sprach so in meine Seele hinein, daß es mich noch leid tut, so gleichgültig scheinend weiter gefahren zu sein. Ich dachte auch weiter nicht dran, als bis ich so schrieb.“

Was Schadow in Coswig an der Elbe erlebte, fasste er in diese Worte: „Grade gegenüber, doch entfernt vom Ufer dieses Flusses liegt Wörlitz. In diesem Städtchen ist ein großes Schloß, gewöhnlich von der Fürstin v[on] Anhalt bewohnt, S[oeur] d[e] l’ Imp[eratrice] de Russi[e], sie war nicht hier. Ich glaubte, als die erste sächsische Stadt, viel visitiert und befragt zu werden. Aber hier sind keine Soldaten, keine Torschreiber, keine Einnehmer und all die Herren, die man so zahlreich in viel kleineren preußischen Städten antrifft.“ In Coswig begegnete Schadow einem geschwätzigen Wirt, einem Erzverleumder, wie er schrieb. „Doch hat er mir viele Partikularitäten, Dessau und W[örlitz] betreffend, mitgeteilt, die mir grade jetzt willkommen sind. Ich werde bald erfahren, ob die Wahrheit der Verleumdung sehr ähnlich ist, und dann ist es ja keine. Man braucht heutiges Tages so viele Schminke beim Erzählen, besonders die wohlerzogenen Leute, daß, erzählt mal einer ungekünstelt die Wahrheit, so hält man ihn wohl gar für einen Spitzbuben.“ Die Aufzeichnungen würden eine gute Portion Dünkel und einen starken Hang zur Ironie zeigen, kommentierte Claudia Czok diese Passage.

Hier klassizistische Klarheit, dort spätbarocker Bombast

Zielpunkt der Exkursion der Schadow Gesellschaft war ein Besuch des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs, dessen Anlage auf Ideen des Fürsten (ab 1807 Herzogs) Leopold Friedrich Franz III.  von Anhalt-Dessau und seiner Gemahlin Luise zurückgeht und seit 2000 zum UNESCO-Welterbe gehört. Bei einer Führung durch das von 1769 bis 1773 nach Erdmannsdorffs Plänen erbaute  Schloss Wörlitz und den berühmten Landschaftspark sowie der Besichtigung der neuen Dauerausstellung „Rückkehr ins Licht. Georg Forster und die Wörlitzer Südseesammlung“ war viel davon zu erfahren, worin das Besondere dieser Anlagen im Vergleich zu dem im benachbarten Preußen von König Friedrich II., dem Großen, zelebrierten spätbarocken Bombast war, und warum der Fürst und seine Gemahlin das Sommerschloss mit seinen wundervollen Sammlungen „gut gekleideten Bürgersleuten“, wie man damals sagte, zur Besichtigung öffnete, lange bevor sich andere Fürstlichkeiten dazu bequemten.

Schadow beschreibt seine Fahrt von Coswig mit der Fähre und die Ankunft in Wörlitz an 16. Juli 1794 so: „Ein steinigter und schlimm ausgefahrener Weg in der Richtung nach Wörlitz durch Wald, zu Ende öffnet sich von beiden Seiten die Aussicht, es fängt eine schöne Chaussee an und der Garten kündigt sich auf große und reizende Art an. Ja, ich [möchte] beinahe behaupten, daß alles, was [man] nachher im Detail sieht und welches schön, reizend und mit geschmackvoller Sorgfalt gezogen ist, doch diesem Eindruck nicht beikommt, den so diese ganze Gruppe von Bäumen und die großen Partien Wasser mit ihren großen Licht und Schattenmassen auf einen machen. Wenn man dann weiter am Wege den auf Grottengewölbe ruhenden Pavillon sieht, worunter Wasser fließt und auf einem erhabenen Rande der Mauern schöne Persicken [Pfirsiche], Weinreben und vortreffliche Blumen stehen, welches mir unaussprechlich reizend schien, so wird man recht erwartungsvoll. Es ist aber ein unbilliges Begehren: Weshalb soll ein Garten besser sehn von innen als von außen? Nachher teilt sich der Garten vermöge des Wassers in 3 Hauptteile.“

Den Idealen der Aufklärung verpflichtet

Fürst Leopold Friedrich Franz III. war dem Militärischen abgeneigt. Er kaufte sich nach kurzer Offizierslaufbahn davon frei und war ganz und gar Zivilist und Kunstfreund. Ein ganzfiguriges Porträt in dem zwei Etagen hohen Speisesaal des Schlosses zeigt ihn in der Pose eines gut situierten Gutsherrn, ohne Orden und andere Abzeichen seiner hohen Herkunft. Franz, wie man ihn in Wörlitz abgekürzt nennt, war ein innovativer, den Idealen der Aufklärung verpflichteter Herrscher, der sich im Unterschied zu vielen seiner hochadligen Standesgenossen intensiv  um das Wohl und Wehe seiner Untertanen kümmerte, für sie Schulen und andere Bildungseinrichtungen baute, die Pockenimpfung einführte und in seinem kleinen Land für ein Klima der Humanität und Toleranz sorgte.

Das von Christoph Martin Wieland als „Zierde und Inbegriff des 18. Jahrhunderts“ gelobte, zur Erbauungszeit nur „Englisches Haus“ genannte Schloss und der nach englischen Vorbildern angelegte Landschaftspark avancierten zum Mekka von Kunstfreunden aus aller Welt und wurden Vorbilder für weitere Bauten und Anlagen dieser Art. Schadows Kommentar über das Schloss und seine Räumlichkeiten fiel recht differenziert aus: „Die gemalten Zierrate, Landschaften und Arabesken und Plafond – Aussichten und Venedig-Ruinen – sind von einem gewissen Fischer, der alles fürs Geld macht. Die Stuckaturarbeiten sind noch ärger. Wie gewöhnlich wird aber dieser Dreck sehr rein gehalten, da hingegen die guten Kunstwerke in Italien voller Schmutz liegen. Sonst ist die Fassade des Palastes, das Vestibül und einige Fenster und Türen im reinsten Stil. Das Gotische Haus im Garten ist in seiner Art merkwürdig, das Innere soll es noch mehr sein. Und alles, sagt man, sei eigne Idee des Fürsten, welches ihn unter Fürsten distingiert. Im Ganzen ist es ein reizender Aufenthalt.“

Einigkeit und Ruhe mögen das Schloss bewohnen

Im Unterschied zur kriegszerstörten Residenz der Anhaltiner in Dessau weitgehend im Zustand der Erbauungszeit erhalten, vermittelt das von Franz und seiner Familie als Sommersitz in Wörlitz genutzte Gebäude ein Gefühl dafür, was mit der Inschrift im Giebel „Liebe und Freundschaft haben es erbaut, Einigkeit und Ruhe mögen es bewohnen, so werden häusliche Freuden nicht fehlen“ gemeint war. Es kann sein, dass der ständig auf Reisen befindliche und immerzu auf der Suche nach schönen Frauen befindliche Bauherr mit dem Motto sagen wollte, dass über allem, was er tut und lässt, die Familie steht.

Franz weilte wenig im Wörlitzer Schloss und war großen Hofgesellschaften abhold, sondern wohnte im benachbarten Gotischen Haus bei seiner Geliebten, der Gärtnerstochter Luise Schoch, mit der er drei illegitime Kinder hatte. Insgesamt hatte der Fürst aus der wenig glücklichen Ehe mit Luise von Brandenburg-Schwedt den erbberechtigten Sohn Friedrich, der aber schon vor ihm starb, so dass die Herrschaft nach Franz’ Tod 1817 an seinen Enkel überging. Seine vielen unehelichen Kinder ließ er, ähnlich wie der auf diesem Gebiet ebenfalls nicht faule August der Starke, eine gute Erziehung angedeihen und sorgte für deren „schickliche“ Erziehung.

Wer durch das Schloss geführt wird, unternimmt eine Reise durch unterschiedliche Kunstepochen, bekommt hier eine Vorstellung von der im 18. Jahrhundert zelebrierten Chinamode und taucht dort in die Welt der Antike ein, vermittelt durch gemalte Göttergestalten und malerischen Ruinen an den Wänden sowie Kopien römischer Bildwerke auf Tischen und Konsolen. Gezeigt wird auch, dass das Schloss als eine Art Musterhaus nach neuestem technischem Standard mit Einbaumöbeln, ausziehbaren Betten, Aufzügen einerseits für Speisen und andererseits zum Entsorgen der Nachttöpfe und manch andern Errungenschaften ausgestattet war und ist. Geheizt wurde mit eisernen Kanonenöfen, die in jedem zweiten Zimmer standen. Wer die steilen Treppen erklimmt, lernt in den oberen Etagen nicht nur den Palmensaal kennen, sondern auch edel ausgestattete Appartements der fürstlichen Familie und ihrer Gäste. Dort kann man sich die eingangs erwähnte Ausstellung von Hinterlassenschaften des Weltreisenden Georg Forster anschauen, den Fürst Franz und seine Gemahlin 1775 in London kennen und schätzen gelernt hatten. Forster schenkte dem Paar 42 Bilder und andere Objekte, die lange im Wörlitzer Depot „schmorten“ und erst jetzt durch die neue Präsentation der breiten Öffentlichkeit bekannt wurden.

Sammlung altdeutscher Kunst im Gotischen Haus

Wenn man vom Schloss hinüber auf den Landschaftspark schaut, sieht man in der Ferne das an einem kleinen Graben stehende Gotische Haus. Ursprünglich Unterkunft des Hofgärtners Johann Leopold Ludwig Schoch, wurde das Haus vom Fürsten Franz nach und nach um- und ausgebaut. Mit ihm entstand eines der frühesten Zeugnisse der Neogotik auf deutschem Boden. Der pittoreske „Rittersitz“ diente dem Fürsten nicht nur als privates Refugium, um sich in vermeintlich bessere Zeiten zurückzuversetzen, sondern auch zur Unterbringung seiner Sammlungen „altdeutscher“ Kunst. Lange galten die Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Glasfenster und Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Jahrhunderten als vernachlässigenswerte, unmodische und altbackene Hinterlassenschaften, gar als Unkunst. Bei Umbauten und Modernisierungen von Kirchen, Schlössern, Burgen und Patrizierhäusern trennte man sich gern von ihnen. Doch wenn Fürst Franz davon erfuhr, besorgte er sich solche für den Müllhaufen bestimmte Stücke. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag für ihre Erforschung und Pflege und nicht zuletzt für die Denkmalpflege, die zu seiner Zeit noch in den Kinderschuhen steckte. Die von ihm angelegte Sammlung von Glasmalereien aus der Schweiz gilt als die bedeutendste außerhalb ihres Herkunftslandes.

Text und Fotos: Helmut Caspar, 7.10.2019