Schadow Gesellschaft zu Berlin auf den Spuren von Johann Gottfried Schadow in Beelitz, Treuenbrietzen und Wörlitz

 

Der große Berliner Bildhauer und Grafiker Johann Gottfried Schadow absolvierte in seinem langen Leben viele Dienstreisen zumeist im Auftrag der preußischen Regierung. Er lernte dabei für sein Schaffen interessante Personen kennen und nahm vielfältige Anregungen für seine Arbeit auf. Eine solche Fahrt führte den damals Dreißigjährigen vom 14. Juli bis zum 7. Juli 1794 von Berlin nach Dresden mit Haltepunkten in Beelitz, Treuenbrietzen, Coswig, Wörlitz und weiteren Städten und Dörfern. Sie mag für ihn im Nachhinein nicht so bedeutsam gewesen sein. Zwar finden sich in Schadows Erinnerungsbuch von 1850 „Kunstwerke und Kunstansichten“ enthusiastische Worte über den „Zauber“, den die Ankunft der beiden aus Mecklenburg-Strelitz stammenden Prinzessinnen Luise und Friederike im selben Jahr alle Stände ergriff und  deren Doppelstatue er alsbald in Angriff nahm. Dass er sich zu Studienzwecken nach Dresden begab, war ihm ein halbes Jahrhundert später keine Zeile wert. Gäbe es nicht das handgeschriebene, im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz befindliche Reisetagebuch vom Sommer 1794, wüssten wir nicht, was Schadow in den von ihm besuchten Städten und Dörfern erlebte, wo er nächtigte und speiste, mit wem er sprach und wie ihm Menschen, Landschaften und Sehenswürdigkeiten zusagten oder auch missfielen. In den Aufzeichnungen hielt der Meister kurz und bündig „Künstlers Erdenwallen“ fest, um den Titel einer berühmten Bilderfolge von Adolph Menzel zu zitieren.

Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin, die sich intensiv um das Erbe ihres Namensgebers kümmert und in die Öffentlichkeit trägt sowie Aspekte seines Lebens und Schaffens in einer gut gemachten Schriftenreihe publiziert, nahmen am 6. Oktober 2019 bei bestem Herbstwetter die Gelegenheit wahr, Schadows Spuren in einem modernen Reisebus zu folgen und zu erfahren, wie es dem noch recht jungen Leiter der Hofbildhauerwerkstatt und Direktor der Skulpturen beim Oberhofbauamt vor 225 Jahren auf seiner Reise ins Sächsische ergangen ist.

Kritische Urteile und Hang zur Ironie

Grundlage der Exkursion ist ein Reisetagebuch, aus dem die Kunsthistorikerin Dr. Claudia Czok, Vorsitzende der Schadow Gesellschaft, entziffert und bei der Busfahrt vorgetragen und kommentiert hat. „Der Bericht zeigt Schadows ausgeprägte Fähigkeit und den Willen zur kritischen Beurteilung all dessen, was er bei seiner Reise gesehen und erlebt hat. Sein Urteil vor allem über künstlerische Phänomene ist auch heute interessant. So äußert er sich lobend über den Erhalt und das Aussehen mittelalterliche Backsteinbauten, die man in dieser gediegenen Form in Berlin nicht kennt. Er findet Stuckaturen und Wandmalereien im Wörlitzer Schloss mittelmäßig, ist hingegen vom Landschaftspark des Fürsten Franz begeistert.“

In Treuenbrietzen bemerkte Schadow vor dem Tor eine Wassermühle sowie einen wohl konservierten runden Turm und alte Mauern. „Das Wasser läuft in Rinnen durch die ganze Stadt. Eine Frau am Tor, die bemerkte, daß ich die schöne Mauer von Feldsteinen des runden Turms aufmerksam betrachtete, sah auch hin, indem sie sagte: ,Ja, wenn der nicht so fest wäre, so hätten sie ihn längst heruntergeworfen, am andern Tor stand auch so einer. Der hat fortgemußt. Und doch stehts keinem Menschen im Wege.’ Die Frau sprach so in meine Seele hinein, daß es mich noch leid tut, so gleichgültig scheinend weiter gefahren zu sein. Ich dachte auch weiter nicht dran, als bis ich so schrieb.“

Was Schadow in Coswig an der Elbe erlebte, fasste er in diese Worte: „Grade gegenüber, doch entfernt vom Ufer dieses Flusses liegt Wörlitz. In diesem Städtchen ist ein großes Schloß, gewöhnlich von der Fürstin v[on] Anhalt bewohnt, S[oeur] d[e] l’ Imp[eratrice] de Russi[e], sie war nicht hier. Ich glaubte, als die erste sächsische Stadt, viel visitiert und befragt zu werden. Aber hier sind keine Soldaten, keine Torschreiber, keine Einnehmer und all die Herren, die man so zahlreich in viel kleineren preußischen Städten antrifft.“ In Coswig begegnete Schadow einem geschwätzigen Wirt, einem Erzverleumder, wie er schrieb. „Doch hat er mir viele Partikularitäten, Dessau und W[örlitz] betreffend, mitgeteilt, die mir grade jetzt willkommen sind. Ich werde bald erfahren, ob die Wahrheit der Verleumdung sehr ähnlich ist, und dann ist es ja keine. Man braucht heutiges Tages so viele Schminke beim Erzählen, besonders die wohlerzogenen Leute, daß, erzählt mal einer ungekünstelt die Wahrheit, so hält man ihn wohl gar für einen Spitzbuben.“ Die Aufzeichnungen würden eine gute Portion Dünkel und einen starken Hang zur Ironie zeigen, kommentierte Claudia Czok diese Passage.

Hier klassizistische Klarheit, dort spätbarocker Bombast

Zielpunkt der Exkursion der Schadow Gesellschaft war ein Besuch des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs, dessen Anlage auf Ideen des Fürsten (ab 1807 Herzogs) Leopold Friedrich Franz III.  von Anhalt-Dessau und seiner Gemahlin Luise zurückgeht und seit 2000 zum UNESCO-Welterbe gehört. Bei einer Führung durch das von 1769 bis 1773 nach Erdmannsdorffs Plänen erbaute  Schloss Wörlitz und den berühmten Landschaftspark sowie der Besichtigung der neuen Dauerausstellung „Rückkehr ins Licht. Georg Forster und die Wörlitzer Südseesammlung“ war viel davon zu erfahren, worin das Besondere dieser Anlagen im Vergleich zu dem im benachbarten Preußen von König Friedrich II., dem Großen, zelebrierten spätbarocken Bombast war, und warum der Fürst und seine Gemahlin das Sommerschloss mit seinen wundervollen Sammlungen „gut gekleideten Bürgersleuten“, wie man damals sagte, zur Besichtigung öffnete, lange bevor sich andere Fürstlichkeiten dazu bequemten.

Schadow beschreibt seine Fahrt von Coswig mit der Fähre und die Ankunft in Wörlitz an 16. Juli 1794 so: „Ein steinigter und schlimm ausgefahrener Weg in der Richtung nach Wörlitz durch Wald, zu Ende öffnet sich von beiden Seiten die Aussicht, es fängt eine schöne Chaussee an und der Garten kündigt sich auf große und reizende Art an. Ja, ich [möchte] beinahe behaupten, daß alles, was [man] nachher im Detail sieht und welches schön, reizend und mit geschmackvoller Sorgfalt gezogen ist, doch diesem Eindruck nicht beikommt, den so diese ganze Gruppe von Bäumen und die großen Partien Wasser mit ihren großen Licht und Schattenmassen auf einen machen. Wenn man dann weiter am Wege den auf Grottengewölbe ruhenden Pavillon sieht, worunter Wasser fließt und auf einem erhabenen Rande der Mauern schöne Persicken [Pfirsiche], Weinreben und vortreffliche Blumen stehen, welches mir unaussprechlich reizend schien, so wird man recht erwartungsvoll. Es ist aber ein unbilliges Begehren: Weshalb soll ein Garten besser sehn von innen als von außen? Nachher teilt sich der Garten vermöge des Wassers in 3 Hauptteile.“

Den Idealen der Aufklärung verpflichtet

Fürst Leopold Friedrich Franz III. war dem Militärischen abgeneigt. Er kaufte sich nach kurzer Offizierslaufbahn davon frei und war ganz und gar Zivilist und Kunstfreund. Ein ganzfiguriges Porträt in dem zwei Etagen hohen Speisesaal des Schlosses zeigt ihn in der Pose eines gut situierten Gutsherrn, ohne Orden und andere Abzeichen seiner hohen Herkunft. Franz, wie man ihn in Wörlitz abgekürzt nennt, war ein innovativer, den Idealen der Aufklärung verpflichteter Herrscher, der sich im Unterschied zu vielen seiner hochadligen Standesgenossen intensiv  um das Wohl und Wehe seiner Untertanen kümmerte, für sie Schulen und andere Bildungseinrichtungen baute, die Pockenimpfung einführte und in seinem kleinen Land für ein Klima der Humanität und Toleranz sorgte.

Das von Christoph Martin Wieland als „Zierde und Inbegriff des 18. Jahrhunderts“ gelobte, zur Erbauungszeit nur „Englisches Haus“ genannte Schloss und der nach englischen Vorbildern angelegte Landschaftspark avancierten zum Mekka von Kunstfreunden aus aller Welt und wurden Vorbilder für weitere Bauten und Anlagen dieser Art. Schadows Kommentar über das Schloss und seine Räumlichkeiten fiel recht differenziert aus: „Die gemalten Zierrate, Landschaften und Arabesken und Plafond – Aussichten und Venedig-Ruinen – sind von einem gewissen Fischer, der alles fürs Geld macht. Die Stuckaturarbeiten sind noch ärger. Wie gewöhnlich wird aber dieser Dreck sehr rein gehalten, da hingegen die guten Kunstwerke in Italien voller Schmutz liegen. Sonst ist die Fassade des Palastes, das Vestibül und einige Fenster und Türen im reinsten Stil. Das Gotische Haus im Garten ist in seiner Art merkwürdig, das Innere soll es noch mehr sein. Und alles, sagt man, sei eigne Idee des Fürsten, welches ihn unter Fürsten distingiert. Im Ganzen ist es ein reizender Aufenthalt.“

Einigkeit und Ruhe mögen das Schloss bewohnen

Im Unterschied zur kriegszerstörten Residenz der Anhaltiner in Dessau weitgehend im Zustand der Erbauungszeit erhalten, vermittelt das von Franz und seiner Familie als Sommersitz in Wörlitz genutzte Gebäude ein Gefühl dafür, was mit der Inschrift im Giebel „Liebe und Freundschaft haben es erbaut, Einigkeit und Ruhe mögen es bewohnen, so werden häusliche Freuden nicht fehlen“ gemeint war. Es kann sein, dass der ständig auf Reisen befindliche und immerzu auf der Suche nach schönen Frauen befindliche Bauherr mit dem Motto sagen wollte, dass über allem, was er tut und lässt, die Familie steht.

Franz weilte wenig im Wörlitzer Schloss und war großen Hofgesellschaften abhold, sondern wohnte im benachbarten Gotischen Haus bei seiner Geliebten, der Gärtnerstochter Luise Schoch, mit der er drei illegitime Kinder hatte. Insgesamt hatte der Fürst aus der wenig glücklichen Ehe mit Luise von Brandenburg-Schwedt den erbberechtigten Sohn Friedrich, der aber schon vor ihm starb, so dass die Herrschaft nach Franz’ Tod 1817 an seinen Enkel überging. Seine vielen unehelichen Kinder ließ er, ähnlich wie der auf diesem Gebiet ebenfalls nicht faule August der Starke, eine gute Erziehung angedeihen und sorgte für deren „schickliche“ Erziehung.

Wer durch das Schloss geführt wird, unternimmt eine Reise durch unterschiedliche Kunstepochen, bekommt hier eine Vorstellung von der im 18. Jahrhundert zelebrierten Chinamode und taucht dort in die Welt der Antike ein, vermittelt durch gemalte Göttergestalten und malerischen Ruinen an den Wänden sowie Kopien römischer Bildwerke auf Tischen und Konsolen. Gezeigt wird auch, dass das Schloss als eine Art Musterhaus nach neuestem technischem Standard mit Einbaumöbeln, ausziehbaren Betten, Aufzügen einerseits für Speisen und andererseits zum Entsorgen der Nachttöpfe und manch andern Errungenschaften ausgestattet war und ist. Geheizt wurde mit eisernen Kanonenöfen, die in jedem zweiten Zimmer standen. Wer die steilen Treppen erklimmt, lernt in den oberen Etagen nicht nur den Palmensaal kennen, sondern auch edel ausgestattete Appartements der fürstlichen Familie und ihrer Gäste. Dort kann man sich die eingangs erwähnte Ausstellung von Hinterlassenschaften des Weltreisenden Georg Forster anschauen, den Fürst Franz und seine Gemahlin 1775 in London kennen und schätzen gelernt hatten. Forster schenkte dem Paar 42 Bilder und andere Objekte, die lange im Wörlitzer Depot „schmorten“ und erst jetzt durch die neue Präsentation der breiten Öffentlichkeit bekannt wurden.

Sammlung altdeutscher Kunst im Gotischen Haus

Wenn man vom Schloss hinüber auf den Landschaftspark schaut, sieht man in der Ferne das an einem kleinen Graben stehende Gotische Haus. Ursprünglich Unterkunft des Hofgärtners Johann Leopold Ludwig Schoch, wurde das Haus vom Fürsten Franz nach und nach um- und ausgebaut. Mit ihm entstand eines der frühesten Zeugnisse der Neogotik auf deutschem Boden. Der pittoreske „Rittersitz“ diente dem Fürsten nicht nur als privates Refugium, um sich in vermeintlich bessere Zeiten zurückzuversetzen, sondern auch zur Unterbringung seiner Sammlungen „altdeutscher“ Kunst. Lange galten die Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Glasfenster und Gebrauchsgegenstände aus vergangenen Jahrhunderten als vernachlässigenswerte, unmodische und altbackene Hinterlassenschaften, gar als Unkunst. Bei Umbauten und Modernisierungen von Kirchen, Schlössern, Burgen und Patrizierhäusern trennte man sich gern von ihnen. Doch wenn Fürst Franz davon erfuhr, besorgte er sich solche für den Müllhaufen bestimmte Stücke. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag für ihre Erforschung und Pflege und nicht zuletzt für die Denkmalpflege, die zu seiner Zeit noch in den Kinderschuhen steckte. Die von ihm angelegte Sammlung von Glasmalereien aus der Schweiz gilt als die bedeutendste außerhalb ihres Herkunftslandes.

Text und Fotos: Helmut Caspar, 7.10.2019