Tagesfahrt der Schadow-Gesellschaft am 10. Mai 2017 zu den Erinnerungsstätten der Reformation in Wittenberg Einzelheiten erfuhren Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin e. V. bei einer Tagesfahrt am 10. Mai 2017 in die Stadt, die von 1511 bis zu seinem Tod 1524 seine wichtigste Wirkungsstätte des Theologen war. Den Teilnehmern hat der bekannte Maler, Grafiker und […]
Tagesfahrt der Schadow-Gesellschaft am 10. Mai 2017 zu den Erinnerungsstätten der Reformation in Wittenberg
Einzelheiten erfuhren Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin e. V. bei einer Tagesfahrt am 10. Mai 2017 in die Stadt, die von 1511 bis zu seinem Tod 1524 seine wichtigste Wirkungsstätte des Theologen war. Den Teilnehmern hat der bekannte Maler, Grafiker und stellvertretende Vereinsvorsitzende Johannes Grützke eine launige Zeichnung dediziert, genannt „Schadow erschrickt – sein kleines Luthermodell hat sich aufgeblasen“.
Auf dem Programm standen eine Stadtrundfahrt, der Besuch der frisch restaurierten Schlosskirche, in der Martin Luther, sein wichtigster Mitstreiter Philipp Melanchthon sowie fürstliche Zeitgenossen bestattet sind, ferner die Besichtigung des Wittenberg-Panoramas „Luther 1517“ von Yadegar Asisi, des Wohn- und Atelierhauses von Lucas Cranach und der Lutherhalle, des größten reformationsgeschichtlichen Museums der Welt.
Martin Luther war schon zu Lebzeiten eine Legende. Sein Konterfei wurde auf zahlreichen Holzschnitten, Kupferstichen und Gemälden verbreitet, und auch auf Altarbildern hat man ihn verewigt. Kaum zu überschauen ist die Zahl von Münzen und Medaillen mit dem Bildnis des Mannes, der wie kein anderer die religiösen und geistigen Grundfesten seiner Zeit erschüttert hat und außerdem durch die Bibelübersetzung große Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Sprache besaß. In der Lutherhalle kann man eine Fülle von gedruckten, gemalten und geprägten Beispielen für die geradezu kultische Verehrung sehen, die dem 1483 in Eisleben geborenen und 1546 ebendort verstorbenen Reformator genoss und weiter genießt. Zu sehen sind dort auch Gegenstände aus dem Haushalt von Martin und Katharina Luther, deren Denkmal im Hof der des Museums steht, das zu Luthers Zeiten Augustinerkloster war und danach Sitz der 1502 von Kurfürst Friedrich dem Weisen gegründeten Universität.
Obwohl Martin Luther ein populärer, ja ein Mann von geradezu weltgeschichtlichem Zuschnitt war, dauerte es drei Jahrhunderte, bis ein erstes Standbild unter freiem Himmel aufgestellt wurde, das von Schadow geschaffene Denkmal auf dem Markt zu Wittenberg direkt vor dem Rathaus. Zwar hatte schon 1739 der Leipziger Schriftsteller Johann Christoph Gottsched anlässlich des 100. Todestages seines Dichterkollegen Martin Opitz gefordert, man möge die „Verdienste großer Männer, die ihrem Vaterlande wichtige Vortheile verschaffet, ihren Mitbürgern viel Ehre gemachet durch ansehnliche Denkmäler und sonderbare Ehrenzeichen dem Andenken der Nachwelt empfehlen“. Doch blieben öffentliche Denkmäler im 18. Jahrhundert nur Monarchen und Feldherren sowie heiligen Männern und Frauen vorbehalten. Im Zuge der Aufklärung und angesichts der Erschütterungen, die die französische Revolution von 1789 dem Feudalsystem beibrachte, folgte eine Neuorientierung auch auf verdienstvolle Persönlichkeiten bürgerlicher Herkunft und Profession, also auf Gelehrte, Geistliche, Politiker und Künstler.
Wittenberg war 1815 mit weiteren Teile des von den katholischen Wettinern regierten Königreichs Sachsen, das mit den Franzosen zu den Verlierern der Völkerschlacht bei Leipzig gehörte, an Preußen gefallen. Dessen Herrscherhaus, die Hohenzollern, hatte sich 1539 zu Luthers Lehre bekannt. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen fühlte sich verpflichtet, Luthers Erbe zu pflegen und zu bewahren. Er erteilte dem Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow den Auftrag, für Wittenberg ein Standbild des Reformators zu schaffen. Gedacht war an „eine kolossale Bildsäule Luthers von Bronze, die Bibel in der linken Hand, auf einem viereckigen, mit angemessenen architektonischen Verzierungen versehenen Fußgestell von rotem Granit.“
Bereits 1806 hatte sich Schadow an einem von der „Vaterländischen-literarischen Gesellschaft der Grafschaft Mansfeld“ ausgeschriebenen Wettbewerb zur Errichtung eines Lutherstandbildes in Mansfeld beteiligt. Doch war die Verwirklichung der von verschiedenen Bildhauern und Architekten eingesandten Vorschläge von zum Teil geradezu monumentalem Zuschnitt und daher viel zu teuer durch den Einfall der französischen Heere „gehemmt“, wie Schadow in der Rückschau notierte, also durch die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1806 und die preußische Niederlage von Jena und Auerstedt. In ihrem Ergebnis hat der siegreiche Napoleon I. Preußen erdrückende Friedensbedingungen auferlegt, während sich das mit Hilfe des französischen Kaisers zum Königreich erhobene, seit August dem Starken katholisch regierte Sachsen territorial stark ausweitete und im Übrigen wenig Neigung zeigte, den rebellischen Luther auf besondere Weise zu ehren.
Erst 1816, kurz vor der Dreihundertjahrfeier der Reformation, wurde das Denkmalprojekt wieder aufgegriffen. Friedrich Wilhelm III. entschied, dass das Denkmal nicht in Mansfeld, für das die erwähnte Gesellschaft schon Geld gesammelt hatte, beziehungsweise in Luthers Geburts- und Sterbestadt Eisleben, sondern im preußisch gewordenen Wittenberg aufgestellt wird. Schadow standen vielfältige Bildnisse als Vorlagen zur Verfügung, doch keine genügte ihm, wie die Kunsthistorikerin Dr. Claudia Czok, erklärte. Doch dann habe er bei einer Rundreise durch das mittlere Deutschland, die ihn auch nach Wittenberg führte, im Lutherhaus zu Eisleben ein überlebensgroßes Porträt gesehen, das seinen Vorstellungen entsprach. Er zeichnete die Vorlage ab und reichte die Kopie samt weiteren Unterlagen bei der preußischen Regierung ein, die zustimmte. Ursprünglich hatte sich Schadow, der in seinem Erinnerungen von 1850 von sich immer in der dritten Person schreibt, im Zusammenhang mit Luther „reichere Kompositionen“ ausgedacht, musste sich aber bescheiden. „Nachdem er (Schadow, H. C.) aber auf den desfallsigen Reisen in Sachsen und im Hessenlande sowohl in Skulptur wie in der Malerei gesehen hatte, daß man unsern großen Reformator immer mit der Bibel in der Hand dargestellt hatte, so bewog es ihn, dies als eine Autorität anzusehen, von der man nicht abweichen dürfe, und in dieser Einfachheit traf er auch den Sinn seines Königs“. Der Monarch war von der Lutherfigur angetan und lobte bei einem Atelierbesuch insbesondere die rechte Hand, wie Schadow notiert, die auf die Bibel zeigt.
Der Grundstein für das Denkmal wurde von Friedrich Wilhelm III. im Beisein der königlichen Familie und des Hofes am 1. November 1817 anlässlich der Dreihundertjahrfeier des Thesenanschlags an die Wittenberger Schlosskirche gelegt. Vier Jahre später war das Monument fertig gestellt. Mit einem Staatsakt wurde es feierlich bei Trompeten- und Paukenschall enthüllt, und die Bewunderung für Schadows Werk war groß. Am Reformationstag 1821 konnte das auf hohem Granitsockel stehende Monument samt Baldachin enthüllt werden. „Abends war die Stadt erleuchtet, das Denkmal mit flammenden Pechpfannen umstellt“, notierte der Bildhauer.
Vom preußischen Kronprinzen und ab 1840 König Friedrich Wilhelm IV. stammt die Idee, Luther unter einen gusseisernen Baldachin zu stellen. Der von Schadow überlieferte Einwand des Hofrats Alois Hirt, das sei unpassend, „denn Luther habe ja Licht verbreitet und das Gotische sei ein Rückschreiten in die finsteren Jahrhunderte“, wurde beiseite geschoben. So hat man den Reformator in der Tracht des 16. Jahrhunderts unter ein neogotisches Dach nach Schinkels Entwurf und damit gleichsam in einen geschlossenen Raum gestellt.
Zum Wittenberger Lutherdenkmal gesellte sich 1865 das von dem Berliner Bildhauer Friedrich Drake geschaffene Denkmal von Philipp Melanchthon. Um Einheitlichkeit zu wahren, wurde über dem „Lehrmeister Deutschlands“ und engsten Mitarbeiter Martin Luthers ebenfalls ein Baldachin errichtet, was auf lange Sicht gesehen für den Zustand der Bronzefiguren durchaus von Segen war. Das Wittenberger Lutherdenkmal war der Ausgangspunkt zahlreicher weiterer auf deutschen Marktplätzen sowie vor und in Kirchen aufgestellter Monumente zur Erinnerung an den Reformator, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass Schadows Monument den Bann gebrochen hat, denn von nun an folgte Schlag auf Schlag überall im damaligen Deutschen Bund die Errichtung von Standbildern zur Erinnerung an berühmte und verdienstvolle Persönlichkeiten. Das 19. Jahrhundert wurde so zum Jahrhundert der Denkmäler, und dabei spielten die Luther, den „Lehrer der deutschen Nation“, wie Herder 1792 sagte, gewidmeten „Bildsäulen“ eine hervorragende Rolle.
Helmut Caspar
Fotos: Helmut Caspar, Reproduktion: Johannes Grützke