Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin sahen in der Alten Nationalgalerie sensationelle Werke der Bildhauer Claudel und Hoetger

Die Schadow Gesellschaft Berlin e. V. veranstaltet auch in diesem Sommer Exkursionen und Ausstellungsbesuche. Am 8. Juli 2025 waren Mitglieder des Vereins zu Gast in der Alten Nationalgalerie in der bis zum 28. September 2025 dauernden Ausstellung „Camille Claudel & Bernhard Hoetger – Emanzipation von Rodin“. Gezeigt werden etwa 140 Objekte, von denen die Hälfte Bronzeabgüsse von Bildhauerarbeiten der Französin und des Deutschen sind. Gemeinsam mit Modellen, Fotografien und Dokumenten zeigen die Skulpturen, wie sich Camille Claudel (1864-1943) und Bernhard Hoetger (1874-1949) von Auguste Rodin (1840-1917), dem überragenden und von Sammlern gesuchten Meister der französischen Bildhauerei vor und nach 1900, abkehrten und zu einem eigenen Stil fanden.

Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger
Obwohl mit Kunstgeschichte vertraut, war auch für Mitglieder der Schadow Gesellschaft Berlin vieles neu, was Frau Sintje Guericke (im Foto rechts) über die in der Alten Nationalgalerie gewürdigte Camille Claudel und ihren deutschen Bildhauerkollegen Bernhard Hoetger zu berichten wusste. Mit der am Kamin träumenden Frau aus den Jahren 1899 bis 1905 betrat Camille Claudel durch die Kombination von Bronze, Stein und Einsatz von elektrischem Licht Neuland.
Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger
Bernhard Hoetgers „Abschied“ zeigt innige fast unbewegliche Zweisamkeit, währen die danebenstehende Gruppe „Die Hingabe“ von Claude Claudel schildert, wie schwer es den Liebenden fällt, voneinander zu lassen.

120 Jahre nach jener Präsentation im Atelier von Blot besteht jetzt die einzigartige Möglichkeit, eine wenig bekannte Etappe der europäischen Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts kennenzulernen und zu sehen, wie sich Claudel und Hoetger von ihrem großen Vorbild Rodin entfernten und Neues schufen. Neben Werken aus der Alten Nationalgalerie, dem Kupferstichkabinett und Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin sind internationale Leihgaben ausgestellt. Geführt von Frau Sintje Guericke, der Ko-Kuratorin der Ausstellung, tauchten die Gäste in das Leben und Schaffen von Claudel und Hoetger ein, denen 1905 der Gaerist und Bildgießer Eugėne Blot eine gemeinsame Ausstellung gewidmet hat. Inmitten der Pariser Avantgarde lebend und arbeitend, schufen sie große und kleine Bronzegüsse von ungeheurer künstlerischer Lebendigkeit.

Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger
Die monumentale Gruppe „L’Âge mûr” (Das reife Alter) von Camille Claudel zeigt eine junge Frau, die auf Knien versucht, ihren vom Alter gezeichneten Geliebten wieder zurückzugewinnen. Die Bronzebüste „Fécondité“ (Fruchtbarkeit) von Bernhard Hoetger ist eine Leihgabe des Paula Modersohn-Becker Museums (Sammlung Bernhard Hoetger) Bremen.

Claudel und Hoetger hatten Rodin viel zu verdanken. Er revolutionierte die Bildhauerei seiner Zeit, indem er sich klar von klassizistisch-idealisierten Darstellungen des Menschen distanzierte, und gab ihr mit ungewöhnlichen Themen und Formen neue Impulse. Für junge Bildhauerinnen, von denen es damals nicht viele gab, und Bildhauer war „Vater Rodin“ Vorbild und Anziehungspunkt, doch versuchten manche mit mehr oder weniger Erfolg, aus dem Schatten des großen Meisters nach dem Motto „Unter großen Bäumen kann nichts wachsen“ zu treten.

Lange Zeit war Camille Claudel durch eine Liebesbeziehung und ein gemeinsames Arbeitsverhältnis an ihren 24 Jahre älteren Lehrer Auguste Rodin gebunden. Zwar profitierte sie vom Austausch mit ihm und seinem Netzwerk, doch irgendwann wagte sie den Schritt zur künstlerischen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit. Ihre Hinwendung zur erzählerischen Kleinplastik war Teil dieser Abnabelung, die sie auch in ihrer privaten Beziehung zu Rodin vollzog. Der zehn Jahre jüngere Bernhard Hoetger suchte und fand seinen Weg zu Großplastiken, was Rodin anerkennend so kommentierte: „Er fand den Weg, den ich suchte, den Weg zum Monumentalen, der der einzig richtige ist.“

Die Alte Nationalgalerie zeigt, was in jener Schau von 1905 zu sehen war und was ihr folgte, und sie holt zwei bei uns bislang wenig beachtete und kaum erforschte Künstler in die Gegenwart. Die Ausstellung und Begegnung mit dem versierten Impressionisten-Händler Blot war für beide von zentraler Bedeutung besonders für eine zunehmend eigenständige Wahrnehmung von Claudels Œuvre. Auch Hoetger feierte mit der Ausstellung seinen künstlerischen Durchbruch in Paris. Thematische Räume in der Alten Nationalgalerie ordnen die 1905 präsentierten Werke der beiden in der Pariser Kunstszene ein und werten ihren Beitrag zur damals neuen Bewegung des Impressionismus.

Der Alten Nationalgalerie gelang mit Unterstützung der Ernst von Siemens-Kunststiftung der Ankauf einer Bronze von der Gruppe „L’Implorante“, die nicht nur einen direkten Bezug zu den hier vorhandenen Werken von Auguste Rodin herstellt, sondern schließt auch eine Lücke im Bereich der impressionistischen Bildhauerei. Zu sehen sind Ikonen von der Hand Camille Claudels wie „La Valse“ und „La Vague“ sowie 46 Bronzen von Hoetger zusammen mit Gipsen und Zeichnungen des Künstlers. Er verließ 1907 Paris und wagte einen Neuanfang in Worpswede und Darmstadt und war mit seinen Skulpturen sehr erfolgreich.

In der Zeit der Nazidiktatur ging es Bernhard Hoetger nicht gut. Trotz Mitgliedschaft in der Auslandsorganisation der NSDAP, in die der Künstler während eines Rom-Aufenthalts eingetreten war, lehnten die Nationalsozialisten seine Kunst ab. Einige Werke wie die in der Alten Nationalgalerie gezeigten kleinen Versionen der Bremer Volkshaus-Figuren passten nicht in deren Kunst- und Weltbild, wurden entfernt und zerstört. Weitere Arbeiten wurden als „entartet“ beschlagnahmt, Verzweifelt, aber erfolglos suchte Höcker nach Anerkennung für sein künstlerisches Werk. Seine in einem merkwürdigen völkisch-nordisch-germanischen Ideal wurzelnde expressive Kunst blieb den Nazis fremd und wurde sogar als „zersetzende Gefahr“ eingestuft.

Diesem Verdikt folgte der Ausschluss aus der Partei und der von Goebbels kommandierten Reichskulturkammer. Heute fordere Hoetgers stilistische Vielfalt und seine weltanschauliche Vielschichtigkeit zu weiteren Forschungen heraus, heißt es in einem Text zur Ausstellung.

Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger Schadow Gesellschaft Berlin - Ausstellung Camille Claudel und Bernhard Hoetger
Die von Camille Claudel geschaffene Skulptur „Die Woge“ mit den trotz drohender Gefahr unbekümmert badenden Kindern stammt aus dem Jahr 1897 und kombiniert Bronze mit dem grünlich schimmernden Halbedelstein Onyx. Auch die wildbewegte Bronze „La Valse“ (Der Walzer) von 1891 ist ein Werk der erst 27jährigen Bildhauerin.

Camille Claudel wurde 1913 in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und verbrachte dort die letzten 30 Jahre ihres Lebens. Ein am Ausgang der Ausstellung ausgelegter und zum Ausfüllen empfohlener Fragebogen gibt mit den auf der Rückseite abgedruckten Antworten von Camille Claudel aus dem Jahre 1888 ein wenig Einblick in das Denken der Künstlerin. Die 23jährige antwortete auf Fragen nach ihrer Lieblingsbeschäftigung mit „Gar nichts machen“, nach ihrem Lieblingsdichter „Derjenige, der keine Verse schreibt“, den Lieblingsheldinnen und -helden in der Belletristik mit „Richard III. und Lady Macbeth“. Zur Frage „Für welche Fehler haben sie die meiste Toleranz?“ schrieb sie: „Ich toleriere alle meine Fehler, aber die anderen überhaupt nicht.“

Zur Ausstellung erschien ein 176-seitiger Katalog in deutscher und englischer Sprache mit zahlreichen Abbildungen. Der Druck wurde von der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung gefördert.


Text und Fotos: Helmut Caspar